Wolken machen, Berge versetzen und Gott spielen

Creating clouds, moving mountains and playing God

Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde
Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde

 

„Gott hat die Lausitz erschaffen, aber der Teufel hat darunter die Kohle vergraben“, besagt eine alte sorbische Volksweisheit. Am östlichsten Rand Deutschlands habe ich erlebt, dass dieses Wort auch heute noch uneingeschränkt seine Gültigkeit hat. Dort bin ich fliegenden Kirchtürmen, Bergeversetzern und einem Opa ohne Lobby begegnet. 

 

 

Von einem Kirchturm, der davonschwebte

 

Ein letzter heißer Tag Anfang September 2013. In der drückenden Mittagshitze läuft mir der Schweiß den Rücken herunter, als der Bergmann sich noch einmal seinen weißen Helm zurechtrückt und mir beinahe feierlich zuruft: „Willkommen im Dorf Wolkenberg!“

 

Wir stehen mitten im Braunkohletagebau Welzow-Süd auf einer menschenleeren Kippenlandschaft. Ohne Bäume, ohne Sträucher, ohne Blumen. Er weist mit seiner Hand auf einige große Findlingssteine, die wie vom Himmel gefallen in dieser Einöde liegen. Sie tragen akkurat eingemeißelte Inschriften wie „Wolkenberg 1503 - 1991“ oder „Gasthaus“ und stehen dort, wo vor 20 Jahren noch das Dorf Wolkenberg stand.

 

Mit hörbarem Stolz in seiner Stimme fährt er fort: „Wie sie sehen, sehen sie nichts, denn das 400 Jahre alte Dorf mit seinen 172 Bewohnern war ein Musterbeispiel dafür, wie reibungslos die Umsiedlung eines ganzen Dorfes klappen kann – wenn die Einwohner letztendlich doch im Sinne der Braunkohle mitspielen.“

 

Gedenksteine an der Stelle des abgebaggerten Dorfs Wolkenberg
Gedenksteine an der Stelle des abgebaggerten Dorfs Wolkenberg

 

In mir spüre ich schon die ganze Zeit diese leise Traurigkeit und ein unterschwelliges Unbehagen, als mich plötzlich ein gewaltiges Déjà-vu überrollt: Da sehe ich sie wieder, die Bilder aus der Sperrzone von Tschernobyl. Auch dort wurden die kleinen Dorfgemeinschaften aus ihren Dörfern vertrieben, allerdings nicht für den Braunkohlebagger, sondern wegen der unsichtbaren radioaktiven Strahlung nach dem Atomunfall.

 

Dort, in der Ukraine, stehen heute Strahlen-Warnschilder, hier sind diese Granitfindlinge die Zeugen des Untergangs.

 

„Um 1503, Kirche“ steht auf dem Gedenkstein, wo einst das kleine Feldsteinkirchlein von Wolkenberg stand. Als die Gehöfte schon dem Erdboden gleichgemacht waren und das Kirchenschiff bereits im Staub der Abrissbagger versunken war, setzte in letzter Minute ein erbittertes Ringen ein um den Erhalt eines einzigartigen Baudenkmals, des hölzernen Glockenturms, der vor dem Kirchenschiff als einzeln stehender Holzturm schon im Jahr 1418 erbaut wurde. Auch dieses zu den ältesten Holzbauwerken Deutschlands zählende Kleinod sollte dem Tagebau geopfert werden. Zum Glück siegte das Einsehen und am 15. Oktober 1993 schwebte der Kirchturm, in Einzelteile zerlegt, per Hubschrauber in das nahegelegene Dorf Pritzen, einem eigentlich ebenfalls zu devastierenden Dorf in der Lausitz, das aber letztendlich nur zu drei Vierteln dem Tagebau weichen musste. Dort steht der Kirchturm bis heute, entwurzelt und in der Fremde. 

 

 

Ein Dorf macht mobil

 

Jeder Asterix-Band beginnt mit den legendären Worten: "Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt ... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten." 

 

Treffender könnte die Situation der Braunkohle-Gegner aus dem kleinen Lausitzer Dorf Proschim kaum beschrieben werden: Seit Jahrzehnten wehrt sich eine unbeugsame Mehrheit des 364-Seelen-Dorfes mit pfiffigen und weit sichtbaren Protestaktionen dagegen, dass Proschim, ihre Heimat und ihre Geschichte der Braunkohle geopfert und von der Landkarte getilgt werden. 

 

Überbleibsel des Lausitzer Energiecamps 2012 in Proschim
Überbleibsel des Lausitzer Energiecamps 2012 in Proschim

 

Das über 700 Jahre alte Dorf Proschim – sorbisch Prožym (proschim ta bonka  = Teichmoos) – steht auf sorbischem Siedlungsgebiet, das mit seiner besonders erhaltenswerten sorbisch-wendischen Kultur eigentlich sogar unter dem besonderen Schutz der Brandenburgischen Verfassung steht. 

 

"Bei der Abbaggerung des Dorfes würden viele Kulturgüter mit engem Bezug zur sorbischen Kultur unwiederbringlich verloren gehen", erklärt Marianne Kapelle. Sie gehört zum Urgestein des Widerstands, leitete viele Jahre lang die Tierproduktion der örtlichen LPG und ist heute ein Motor der rührigen Proschimer Landfrauen, die für den Fortbestand ihrer Heimat kämpfen.

 

Marianne Kapelle
Marianne Kapelle

 

"Wer kann es denn z.B. ruhigen Gewissens verantworten, unsere denkmalgeschützte alte Proschimer Mühle samt dem Mühlenmuseum mit seiner sehenswerten Sammlung zur traditionellen Landtechnik und bäuerlichen Lebensart abreißen zu lassen? Oder wer könnte sehenden Auges unsere wunderschön erhaltene Proschimer Kirche oder unsere liebevoll gepflegten und für die Region typischen sorbischen Vierseitenhöfe der Abrissbirne preisgeben? Das sollte keiner der Politiker wagen, denn wer unsere Dörfer antastet, ist für uns nicht wählbar."

 

Diese Botschaft steht auch noch einmal als unmissverständliche Warnung an alle gewählten Volksvertreter gut sichtbar auf einem blumenumrankten Schild im Dorfkern. Jede der in leuchtendem Magenta blühenden Petunien macht auch hier die gelebte Liebe der Proschimer zu ihrer Heimat sichtbar. 

 

Im Dorfkern von Proschim
Im Dorfkern von Proschim

 

Schon zu DDR-Zeiten haben sich die Proschimer gegen die drohende Zerstörung des Lebensraums und der Geschichte gewehrt, vor allem nach 1977, als das Dorf zum Bergbaugebiet erklärt. Alle Hausbesitzer durften in dieser Zeit nur noch beschränkt über ihre Grundstücke verfügen, keine Gebäude mehr erneuern und nichts mehr neu bauen.

 

Nach der Wende hat das Dorf noch einmal Hoffnung geschöpft, denn mit jeder in Ostdeutschland installierten Öl- oder Gasheizung verlor die Braunkohle ihre Stellung als ehemals wichtigstes Heizmittel der DDR und die Fördermenge ging drastisch von 200 Mio. Tonnen auf nur noch 60 Mio. Tonnen pro Jahr zurück. Doch schon 1997 bestätigte die Brandenburger Landesregierung die geplante Erweiterung des benachbarten Tagebaus Welzow-Süd und im Jahr 2000 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das wegweisende Urteil, dass Zwangsumsiedlungen ein „vertretbarer Eingriff ins Privatleben“ wären.

 

Einige Einwohner haben zu der Zeit ihre Häuser verkauft, um noch einen einigermaßen akzeptablen Preis herauszuhandeln, und machten immer mehr ihre gleichgültige Einstellung sichtbar: „Was mit dem Dorf passiert, interessiert mich dann nicht mehr, wenn ich ohnehin hier nicht mehr wohne."

 

 

Die endlose Wüste

Karte der Lausitzer Abbaugebiete
Karte der Lausitzer Abbaugebiete

 

Fast die ganze Lausitz wird markiert, als Eckard Tetsch am Kartenleuchttisch die Lage der Kohleflöze erklärt: "Hier, das alles sind die alten Tagebaue, einige inzwischen als Seen geflutet. Das sind die aktiven Tagebaue von heute und hier sind die geplanten Tagebaue." Unter fast jedem Quadratkilometer der Lausitz scheint die Braunkohle zu liegen – einst segensreich, doch heute zunehmend problematisch. 

 

"In der Lausitz liegt die Braunkohle relativ nah an der Oberfläche, d.h. die Kohleförderung im Tagebauverfahren war die praktikabelste Lösung. Dafür müssen aber die Natur und die über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft auf vielen Quadratkilometern teilweise mehr als 120 Meter tief abgebaggert und damit unwiederbringlich zerstört werden – einschließlich aller Dörfer, Wälder, Wiesen und fruchtbaren Ackerböden, die über der Kohle liegen.

 

Nachdem die Kohleflöze abgebaut sind, bleibt aufgeschüttetes, minderwertiges Kippengelände übrig, das wegen Standsicherheitsproblemen und der Gefahr von Erdrutschungen über Jahrzehnte nicht betreten werden kann. Es werden viele Jahrzehnte vergehen, bis sich auf diesen unfruchtbaren Sandflächen wieder fruchtbarer Mutterboden bilden wird."

 

Eckard Tetsch
Eckard Tetsch

 

Auch Eckard Tetsch gehört seit Jahrzehnten zum Kern des Proschimer Braunkohle-Widerstands. Der begeisterte Amateurfunker erinnert sich: "In den 1960er und 1970er Jahren hat sich die DDR-Fördertechnologie dramatisch weiterentwickelt und neue, immer größere Bagger und Förderbrücken hervorgebracht. Um diese riesigen Maschinen effizient auszulasten, waren große, zusammenhängende Abbauflächen erforderlich. Daher wurde zunehmend die Umsiedlung ganzer Dörfer erforderlich, die für die neuen Tagebaue geopfert wurden. Aber neue Dörfer sind als Ausgleich nicht entstanden, sondern die Zwangsumgesiedelten kamen in sogenannte „Kohleersatzwohnungen“, also Plattenbauten in den Neubauvierteln der Städte wie Cottbus oder Hoyerswerda. 

 

Viele der Haushalte versuchten sich anfänglich gegen die Zwangsumsiedlung zu wehren, doch zu DDR-Zeiten konnte niemand die Zwangsumsiedlung verhindern. Einspruchsmöglichkeiten gab es nicht, ganz im Gegenteil war es politisch sogar gewollt, Dorfgemeinschaften als suspekte Rückzugsorte von konservativem Gedankengut zu zerschlagen. Hier gab es der SED einfach zu wenig Arbeiterklasse aber zu viele Bauern und Handwerker.

 

Unser Lausitzer Braunkohlerevier war für die DDR als Hauptenergielieferant überlebenswichtig. Um den benachbarten Tagebau Welzow-Süd zügig auszubeuten, wurden seit seinem Aufschluss in den 1960er Jahren ganze 15 Ortschaften von der Landkarte getilgt und 3.535 Menschen heimatlos gemacht. Ganze Dörfer, Landwirtschafts-, Wald- und Naturschutzgebiete und Existenzen wurden für immer vernichtet.

 

Nach der Wende war die Lausitz Deutschlands zweitgrößtes Braunkohleabbaugebiet. Inzwischen wurde die Energie­wende beschlossen und werden damit sowohl die Atomenergie als auch die Braunkohleverstromung nur noch als vorübergehende Brückentechnologien geduldet. Aber trotzdem will der schwedische Energiekonzern Vattenfall in der Lausitz immer noch fünf neue Braunkohletagebaue eröffnen, damit es seine Kraftwerke bis zum Jahr 2050 mit Kohle versorgen kann. Etwa 3.000 Menschen sollen in den nächsten Jahren für die neuen Abbaufelder ihre Heimat und ihre Geschichte verlieren und zwangs­umgesiedelt werden. Dabei haben wir alle so sehr gehofft, dass dieses Kapitel der Zwangsumsiedlung auch mit dem Ende der DDR abgeschlossen wäre.

 

Zu DDR-Zeiten war die Lausitz mit ihren vielen Brikettfabriken, Kraftwerken, Tuchfabriken und Glashütten ein unüberbrückbares Spannungsfeld zwischen Natur und Industrie, zwischen Dorf und Tagebau – doch warum müssen diese Spannungen in unserer neuen Zeit immer weiter aufrechterhalten werden?"

 

 

Wie die Wüste sich voranfrisst

 

Seit 1894 wird bei Welzow Braunkohle gefördert, zunächst in der Grube Mariannensglück im Tiefbau, d.h. einem  Bergwerk mit Schächten und Stollen. Ab 1901 wurde dann zunächst die dicht unter der Oberfläche liegende Braunkohle im Tagebau gefördert, ehe 1962 dank verbesserter Abbautechnik die bis zu 100 Meter dicke Deckschicht über dem tiefer gelegenen 2. Lausitzer Kohleflöz abgeräumt werden und 
ab 1966 die Kohle in großem Stil gefördert werden konnte. 

 

Heute nimmt der Tagebau Welzow-Süd knapp 90 Quadratkilometer in Anspruch, von denen momentan auf etwa 28 Quadratkilometern die Braunkohle abgebaut wird, während 26 Quadratkilometer bereits rekultiviert sind. Pro Jahr graben die Maschinen etwa 20 Mio. Tonnen Kohle aus dem Lausitzer Boden, die täglich als Hunderte Waggonladungen mit einer Vattenfall eigenen Eisenbahn in die umliegenden Kohlekraftwerke transportiert und dort zu Strom, Dampf und Fernwärme verfeuert werden.

 

Frisch aufgeschüttete Kippenhalde mit Absetzer im Tagebau Welzow-Süd
Frisch aufgeschüttete Kippenhalde mit Absetzer im Tagebau Welzow-Süd

 

Als ich zum ersten Mal an der Abbruchkante des Tagebaulochs stehe und den Weg der Kohle in die Kraftwerke vor Augen habe, verstehe ich auf einmal den Titel einer kleinen Broschüre, die Mitte der 1980er Jahre von der DDR-Umweltgruppe "Arbeitskreis für Umwelt und Frieden Hoyerswerda" unter dem Schutz der Kirche gedruckt wurde und für Furore sorgte. "Verheizte Lausitz" hieß diese mutige Schrift, in der die überwiegend ahnungslosen DDR-Bürger zum ersten Mal eine Liste aller abgebaggerten Dörfer nachlesen konnten. Knapp 120 Dörfer mit über 25.000 Menschen waren da aufgeführt. Diese Aufstellung war ein Glücksfall, denn die nun offenkundigen, mit den Zwangsumsiedlungen verbundenen Ungerechtigkeiten haben der DDR-Opposition regen Zulauf beschert und vielleicht den Niedergang des DDR-Regimes zusätzlich beschleunigt. 

 

Aber wissen heute die Menschen in Hamburg, Frankfurt und München eigentlich, wie es in den Braunkohlentagebauen der Lausitz und des Rheinischen Reviers aussieht? 

 

So weit das Auge reicht: verwüstete Landschaft. Die obersten Erdschichten wurden hier schon einschließlich der Vegetation abgeräumt ("Vorschnitt"), am Boden der Grube wird die Kohle gefördert.
So weit das Auge reicht: verwüstete Landschaft. Die obersten Erdschichten wurden hier schon einschließlich der Vegetation abgeräumt ("Vorschnitt"), am Boden der Grube wird die Kohle gefördert.

 

Das Herzstück und der technische Stolz der Lausitzer Braunkohlenförderung ist seit 1972 die Abraumförderbrücke F-60, die größte bewegliche technische Arbeitsmaschine der Welt. Mit ihrer Länge von etwas mehr als 500 Metern, einer Höhe von 80 Metern und einem Gewicht von 13.500 Tonnen wird sie auch als liegender Eiffelturm bezeichnet. 

 

Bei Tag und Nacht wird gebaggert und gerade bei Dunkelheit bietet sich ein beeindruckendes Bild der taghell erleuchteten Förderanlagen.

 

Blick über den Tagebau Welzow-Süd
Blick über den Tagebau Welzow-Süd

 

Um überhaupt an die Kohleschicht heranzukommen, muss im Tagebau Welzow-Süd zunächst eine bis zu 120 Meter mächtige Deckschicht, der sogenannte Abraum, abgehoben und beiseitegeschafft werden. Über 7 Tonnen Abraum müssen für jede Tonne Braunkohle bewegt werden, das sind jährlich insgesamt mehr als 140 Mio. Tonnen zu versetzender Abraum allein in diesem Tagebau. 

 

Förderbänder sirren kilometerlang und transportieren wie von Geisterhand in jeder Stunde bis zu 37.500 Tonnen Kohle bzw. Abraum auf die Halden. Bis zum Jahr 2042 soll das bis zu 14 Meter mächtige Kohleflöz abgebaut sein und danach zum Welzower See geflutet werden.

 

Schaufelradbagger am Flöz des Tagebaus Welzow-Süd
Schaufelradbagger am Flöz des Tagebaus Welzow-Süd

 

17 Dörfer sind diesem Tagebau bisher zum Opfer gefallen, viele von ihnen waren sorbische Dörfer: Dollan (Dolań), Geisendorf (Gižkojce), Gosda (bei Spremberg) (Gózdź), Groß Buckow (Bukow), Haidemühl (Gózdź), Jessen (Jaseń), Josephsbrunn, Kausche (Chusej), Klein Buckow (Bukowk), Klein Görik (Gorki), Pulsberg (Lutoboŕ), Radeweise (Radojz), Roitz (Rajc), Sagrode, Stradow (Tšadow), Straußdorf (Tšuckojce) und Wolkenberg (Klěšnik).

 

 

Blick über eine Abraumhalde auf die Förderbrücke F-60
Blick über eine Abraumhalde auf die Förderbrücke F-60

Der Blick von oben

 

Um die gigantischen Dimensionen von Vattenfalls Tagebauflächen und Kraftwerken besser zu dokumentieren, hebe ich mit einem Ultraleichtflugzeug vom ehemaligen Militärflugplatz Drewitz ab und nehme nördlich von Cottbus Kurs auf den Tagebau Jänschwalde und das gleichnamige Braunkohlekraftwerk mit seinen neun dampfenden Kühltürmen. 

 

Abraumkippe im Tagebau Jänschwalde
Abraumkippe im Tagebau Jänschwalde

 

Der Flug geht in 150 Meter Höhe über ein Kippengelände des Tagebaus Jänschwalde, auf dem der abgebaggerte Abraum wieder abgesetzt wird.

 

Abraumhalde im Tagebau Jänschwalde
Abraumhalde im Tagebau Jänschwalde

 

Wegen der Gefahr von großflächigen Erdrutschungen kann das lose aufgeschichtete Kippengelände für Jahrzehnte nicht betreten werden. In einer fernen Zukunft sollen hier wieder Wälder wachsen und Äcker bestellt werden. Doch bis sich langsam wieder eine fruchtbare Bodenkrume herausbildet, werden Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte verstreichen.

 

Rutschungen und Erosion an einer Abraumhalde im Tagebau Jänschwalde
Rutschungen und Erosion an einer Abraumhalde im Tagebau Jänschwalde

 

Angst vor Erdrutschen haben auch die Einwohner des Dorfes Lieske bei Welzow. Nachdem in den letzten Jahren direkt hinter ihrem Dorf ein ehemaliger Tagebau zum Sedlitzer See geflutet wurde, soll auf der anderen Seite des Dorfes ein neuer Tagebau entstehen und die Siedlung auf einem nur etwa 400 Meter breiten Landstreifen zwischen See und Kohlegrube stehen.

 

Einige Geologen sehen die begründete Gefahr einer katastrophalen Erdrutschung, zumal der zukünftige Tagebau etwa 60 Meter tiefer liegen soll als der Wasserspiegel des Sedlitzer Sees. Ob der schmale Landstreifen mit dem darauf liegenden Dorf Lieske wirklich die Funktion eines Staudammes erfüllen und den Wasserandrang aus dem See in den Tagebau zurückhalten kann, wird u.a. vom Geologen Dr. Ralf Krupp in einem von Greenpeace beauftragten Gutachten bezweifelt: Durch den enormen Wasserdruck könnte dieser Damm im schlimmsten Fall mitsamt dem Dorf einstürzen. Die Folge wäre eine lebensgefährliche Flutwelle, die sich aus dem Sedlitzer See in den tiefer gelegenen Tagebau Welzow-Süd II ergießen würde. Das Leben der Dorfbewohner und der Belegschaft im Tagebau wäre bei einer solchen Katastrophe akut bedroht.

 

Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde
Braunkohlenkraftwerk Jänschwalde

Das Vattenfall-Kraftwerk Jänschwalde wird mit Rohbraunkohle aus den Tagebauen Jänschwalde, Cottbus-Nord und Welzow-Süd versorgt. Wenn alle Blöcke unter Volllast laufen, werden dort täglich 80.000 Tonnen Braunkohle verstromt.
 Pro Jahr stößt das 3.000-MW-Kraftwerk mehr als 23 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus. 


 

Braunkohle ist der klimaschädlichste aller Energieträger. Bei der Erzeugung einer Kilowattstunde Strom aus Braunkohle wird etwa dreimal so viel Kohlendioxid freigesetzt, wie bei der Erzeugung aus Erdgas.
 Laut Betreiber Vattenfall hat das Kraftwerk wegen des hohen Wassergehalts nur einen Wirkungsgrad von rund 36 Prozent, d.h. nur etwa ein Drittel der in der Kohle vorhandenen Energie wird in Strom umwandelt, während knapp zwei Drittel der Energie ungenutzt als Dampfschwaden über die Kühltürme an die Umwelt abgegeben werden. 

 
Kühltürme des Braunkohlenkraftwerks Jänschwalde
Kühltürme des Braunkohlenkraftwerks Jänschwalde

 

Greenpeace bewertet das Vattenfall-Kraftwerk Jänschwalde als das gesundheitsschädlichste Kohlekraftwerk Deutschlands. Schwefeldioxid, Stickoxide, Ruß und Staubemissionen aus dem Kraftwerk bilden in der Atmosphäre gefährliche Feinstaubpartikel, deren kleinste Teilchen beim Einatmen tief in die Lunge und Blutgefäße eindringen und die Gesundheit schädigen können.

 

Kühltürme des Braunkohlenkraftwerks Jänschwalde
Kühltürme des Braunkohlenkraftwerks Jänschwalde

 

Nach Berechnungen der Universität Stuttgart im Auftrag von Greenpeace sind alleine die Emissionen des Kraftwerks Jänschwalde jährlich für fast 4.000 verlorene Lebensjahre verantwortlich, das entspricht dem vorzeitigen Tod von 370 Menschen.

 

Detaillierte Informationen bietet die Greenpeace-Studie "Tod aus dem Schlot – Wie Kohlekraftwerke unsere Gesundheit ruinieren" vom März 2013 (www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/user_upload/themen/klima/Kohle-Gesundheitsreport.pdf).

 

 

Die Wolkenmacher von der "Schwarzen Pumpe"

 

Beinahe futuristisch mutet die elegant geschwungene Aluminiumfassade des Vattenfall-Kraftwerks „Schwarze Pumpe“ an. Erst 1997/98 wurde es in Betrieb genommen und gilt als 
eines der modernsten und leistungsfähigsten Braunkohlekraftwerke der Welt
. So wird dank Effizienz steigernder technischer Neuerungen im Optimalbetrieb ein außergewöhnlich hoher elektrischer Nettowirkungsgrad von knapp über 40 Prozent erreicht und eine Gesamtleistung von 1.600 MW produziert (das entspricht der Stromversorgung von 1,9 Mio. Haushalten) und 
außerdem noch Fernwärme (für Spremberg und Hoyerswerda) und Prozessdampf (für eine Brikettfabrik und Papierwerk) zur Verfügung gestellt. 

 

Das Kraftwerk deckt einen Teil der sogenannten Grundlast der öffentlichen Stromversorgung ab, da sich Braunkohlekraftwerke im Vergleich zu Gaskraftwerken bei veränderter Stromnachfrage nicht schnell an- und abfahren lassen und die Leistung nur in engen Grenzen flexibel geregelt werden kann. 

 

Der allergrößte Anteil des Stroms aus den ostdeutschen Vattenfall Braunkohlen-Kraftwerken dient übrigens nicht der Versorgung von Lausitz, Berlin oder Brandenburg, sondern wird über die Leipziger Strombörse in andere Bundesländer verkauft und exportiert, insbesondere nach Südwestdeutschland. 

 
Kühlturm
Kühlturm

 

Im Vergleich zum ehemaligen DDR-Kohlekraftwerk, das an diesem Standort arbeitete und nach der Wende abgerissen wurde, setzt das neue Kraftwerk nach Angaben von Vattenfall erheblich weniger Schadstoffe in die Umwelt frei:

  • 91 Prozent  weniger Schwefeldioxid durch den Einsatz eines optimierten Kalkstein-Nasswäschers,
  • 61 Prozent weniger Stickoxide durch verbesserte Feuerungstechnik,
  • 31 Prozent weniger Kohlendioxid und
  • 98 % weniger Staub durch die Verwendung von Elektrofiltern.

Transformator
Transformator

 

Doch bei aller Anerkennung der geleisteten Ingenieurskunst und der erreichten Reduktion des Schadstoffausstoßes untermauern die Mengen der verbrauchten Rohstoffe und der in die Umwelt freigesetzten Schadstoffe unverändert, warum die Braunkohleverstromung als eine der schmutzigsten und umweltschädlichsten Formen der Energieerzeugung gilt: 

 

Pro Tag verbraucht das Kraftwerk Schwarze Pumpe im Volllastbetrieb: 

  • 600 Eisenbahnwaggons Braunkohle,
  • 72 Mio. Liter Wasser (aus der Tagebauentwässerung) und
  • 18 Eisenbahnwaggons Kalkstein für die Rauchgasentschwefelungsanlage.

 

Auf der anderen Seite fallen in der Anlage jeden Tag an: 

  • 
31.000 Kubikmeter Wasserdampf als Schwaden aus den Kühltürmen,
  • 30.000 Tonnen Kohlendioxid,
  • 1.600 Tonnen Gips für Baustofffabriken und
  • 40 Eisenbahnwaggons Verbrennungsasche für Deponie.

Diese überdachte Gipshalde wächst jeden Tag um 1.000 Tonnen Gips aus der Rauchgasentschwefelung an.
Diese überdachte Gipshalde wächst jeden Tag um 1.000 Tonnen Gips aus der Rauchgasentschwefelung an.

 

Vergeblich sucht man bei diesem Kraftwerk nach hohen Schornsteinen, aus denen die Rauchgase in die Umgebung strömen. Stattdessen werden in den beiden Nasskühltürmen die entschwefelten Rauchgase einschließlich ihrer Kohlendioxid- und Stickoxidfracht mit dem Kühlwasserdampf verwirbelt und gemeinsam in die Atmosphäre abgegeben.

 

Kühltürme von Schwarze Pumpe bei Nacht
Kühltürme von Schwarze Pumpe bei Nacht

 

Sowohl die glänzend-saubere Fassade der Kraftwerksgebäude als auch die ausschließlich sichtbaren Wasserdampffahnen der Kühltürme machen vergessen, wie viele unsichtbare Tonnen Kohlendioxid, Stickoxide und Feinstaub trotz aller technischen Bemühungen weiterhin jedes Jahr in die Umwelt gelangen. 

 

Dampfschwaden über dem Kühlturm des Kraftwerks Schwarze Pumpe
Dampfschwaden über dem Kühlturm des Kraftwerks Schwarze Pumpe

Die Selbstversorger

 

Die Bürger von Proschim haben offensichtlich schon länger Spaß daran, in unmittelbarer Nähe des Kohletagebaus den Braunkohlebefürwortern die zukunftsträchtigen Alternativen zur Braunkohle vor Augen zu halten. Denn wer nach Proschim kommt, muss in direkter Nachbarschaft zum Abbaugebiet die vier Windkraftanlagen zur Kenntnis nehmen, die bereits 1997 dort aufgestellt wurden. Im Sommer 2013 wurden vier weitere Windräder hinzugefügt. 

 

Zusätzlich zur Windenergie sind im Dorf drei Fotovoltaikanlagen mit 850 KWp und eine moderne Biogasanlage von 536 KWel installiert. In Kürze kommt auf dem Gelände des Flugplatzes ein weiterer Solarpark von 18,7 KWp hinzu.

 

Vierseitenhof von Günter Jurischka
Vierseitenhof von Günter Jurischka

 

Auch auf den Dächern des liebevoll gepflegten Vierseitenhofs von Günter Jurischka glänzen im Dorfkern von Proschim die Solarzellen in der Sonne. Jurischka gehört seit Jahren zum harten Kern der Braunkohlegegner und gibt zu bedenken: "Sonne, Wind und Biogas – die Region um den Kohletagebau Welzow-Süd liefert bereits heute einen deutlichen Überschuss an Strom aus einem Mix erneuerbaren Energien: Schon heute dürfte Proschim etwa das 25-Fache seines Eigenverbrauchs an Elektrizität produzieren."

 

Dann beugt er sich über den Tisch und erhebt seine Stimme: "Ist es nicht geradezu paradox und ein Ausdruck größter Ignoranz, wenn in wenigen Jahren diese schon heute existierenden, modernsten Anlagen zur Energieerzeugung aus Sonne, Wind und Biogas von den Abbruchbaggern zerstört werden sollen, damit der Kohletagebau ausgeweitet und die „Brückentechnologie“ Braunkohle noch einmal aufleben kann? Verstehe das, wer will – ich jedenfalls nicht!" 

 
Günter Jurischka
Günter Jurischka

Wenn Gülle zu Gold wird

Plakat des Energieparks Proschim
Plakat des Energieparks Proschim

 

Die Dorfbewohner sind stolz auf ihren Enegiepark Proschim und besonders auf die 536KWel-die Biogasanlage, die Ende 2007 ohne Förderung fertiggestellt wurde und in der die Gülle unterirdisch transportiert wird und die geruchsbelästigenden Gase verbrannt werden. Der gesamte, erzeugte Strom aus der Biogas-Anlage wird in das öffentliche Netz eingespeist. 

 

Doch was war die wirkliche Motivation für den steinigen Weg, in dieser Braunkohleregion auf die Energiegewinnung aus Biogas, Sonne und Wind zu setzen?  

 

Petra Rösch, gewählte Dorfvorsteherin von Proschim und bekennende Anti-Braunkohle-Aktivistin erklärt: "Eigentlich haben uns sogar drei verschiedene Gründe bewogen, für Proschim auf die regenerativen Energien zu setzen: Zum einen natürlich der Umweltgedanke, zum anderen waren es langfristige finanzielle Renditeziele, an die wir glauben, und natürlich wollten wir beweisen, dass es auch ohne Braunkohle geht."

 

Ortsvorsteherin Petra Rösch
Ortsvorsteherin Petra Rösch

 

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Petra Rösch zum Kohle-Widerstand gebracht hat? Ohne lange zu überlegen, erinnert sie sich: „Ach wissen Sie, ich bin meiner Heimat sehr emotional verbunden. Als Kinder sind wir fast jeden Tag mit unseren Fahrrädern zu meiner Freundin nach Groß Partwitz gefahren und haben uns dort die Fasane in der Voliere angeguckt. Das war für uns jedes Mal ein großes Erlebnis – heute müssen ja alle gleich in einen Erlebnispark fahren.

 

Doch dann kam die Abbaggerung von Groß Partwitz. Das war so furchtbar: Wir haben dann immer den quietschenden Bagger gehört und das Klappeschlagen in der Nacht. Ich konnte das überhaupt nicht fassen, denn es fühlte sich an, als würde meine ganze Kindheitsgeschichte abgebaggert. Dem Opa meiner Freundin, der nicht mitgegangen ist, wurden dann Strom und Wasser abgeklemmt. Wir haben als Kinder jeden Tag zum Opa das Essen, Kerzen und Wasser zum Trinken und zum Waschen mit dem Fahrrad hingeschafft. Das werde ich nie vergessen. Dann wurde er von der Volkspolizei aus seinem Haus geholt, zwangsumgesiedelt und vierzehn Tage später war er tot."

 

Rekultivierung von aufgeschütteten Flächen im Tagebau Welzow-Süd
Rekultivierung von aufgeschütteten Flächen im Tagebau Welzow-Süd

 

"Nach der Wende hieß es dann, der Tagebau Welzow-Süd werde nicht erweitert, und wir hatten alle wieder viel Mut", erinnert sich Petra Rösch. "Auch nach der Wende wurde ich zunächst LPG-Vorsitzende der Tier- und Pflanzenproduktion mit über 860 Mitarbeitern und habe die Leitung und Verantwortung für unseren Betrieb, den Firmenverbund Proschim, übernommen. Nach der Wende war aber das Hauptproblem, dass die neue Lausitzer Braunkohle AG als neuer Grundeigentümer der vorgesehenen Abbauflächen auch Eigentümer vieler Stallanlagen für unsere 3.000 Rinder war und wir nicht wussten, welche Verträge galten und in welchem rechtlichen Zustand wir uns befanden. Die LAUBAG und später Vattenfall haben uns immer nur kurzfristige Zwei- oder Drei-Jahresverträge für die Anpachtung unserer landwirtschaftlichen Flächen gegeben, die aber unsere Bewirtschaftungsgrundlage sind. 

 

Bei vielen von diesen angepachteten Flächen gibt es jede Woche Probleme: Es werden Brunnen gebohrt, Straßen abgeriegelt oder versetzt – und das haben wir laut der Pachtverträge alles zu dulden."

 

Erster Bewuchs auf einer neu aufgeschütteten Flächen
Erster Bewuchs auf einer neu aufgeschütteten Flächen

 

"Aber auch innerhalb der Bauernschaft gibt es unterschiedliche Standpunkte. Von einem Bauernverband sollte ich doch eigentlich erwarten können, dass er sich für die Erhaltung von hochwertigen Ackerflächen einsetzt. Wie überrascht war ich aber, als ich kürzlich den folgenden Satz in einer aktuellen Stellungnahme lesen musste: „Der Bauernverband Spree-Neiße ist grundsätzlich für die Abbaggerung von Proschim.“ Überlegen Sie einmal: Das sind meine eigenen Interessenvertreter, die sich ansonsten mit Plakataktionen deutschlandweit gegen Landfraß wenden. Wie soll ich das verstehen?  

 

Unserem landwirtschaftlichen Betrieb ist jedenfalls nicht damit gedient, anstelle der gewachsenen Ackerböden irgendwelche aufgeschütteten Kippenflächen als Ersatz zu bekommen, auf denen die Bodenwertzahlen deutlich geringer sind. Der Braunkohletagebau hat in den vergangenen 100 Jahren schon etwa ein Drittel der Lausitzer Agrar- und Forstflächen in unfruchtbare Abraumhalden und tote Restseen verwandelt. 

 

Übrigens, die angestrebte und versprochene Rekultivierung geschieht durch eine siebenjährige Fruchtfolgenrotation von Leguminosen, Luzernegras und Winterroggen. Und selbst nach diesen sieben Jahren werden die Böden weiterhin mager und von der Ertragskraft unserer jetzigen Böden meilenweit entfernt sein. Nein, das kann und will ich nicht akzeptieren. Auch aus sozialer Verantwortung für die langfristigen Arbeitsplätze meiner 85 Angestellten muss ich gegen diese Vernichtung unserer Ackerböden als unserem wichtigstem Produktionsfaktor kämpfen."

 

 

Die Ruinen von Haidemühl

 

Der Ort Haidemühl mit seinen zuletzt 662 Einwohnern verdankt seine Entstehung im Jahr 1823 der Kohle und dem Glas – und beiden verdankt er auch seinen Untergang. 

 

Verlassenes Gehöft in Haidemühl
Verlassenes Gehöft in Haidemühl

 

Eine Glashütte (1835 gegründet) und eine Brikettfabrik (ab 1900) waren die beiden wirtschaftlichen Standbeine von Haidemühl. Während der DDR war das Haidemühler Glaswerk der einzige Betrieb, der Halbliter-Milchflaschen herstellte und sogar gegen begehrte Devisen nach Westdeutschland ausführte. 

 

Doch nach der Wende waren sowohl das traditionsreiche Glaswerk als auch die Brikettfabrik plötzlich überflüssig und alle Arbeitsplätze fielen über Nacht weg. Der nächste Schlag folgte 1993, als verkündet wurde, dass die Gemeinde Haidemühl der Erweiterung des Tagebaus Welzow-Süd weichen und abgebaggert werden soll. Seit 2006 ist der Ort menschenleer und die verfallenden Häuser rufen in mir wieder Erinnerungen an die Ruinen in der Sperrzone von Tschernobyl hervor.

 

Verlassenes Wohnhaus in Haidemühl
Verlassenes Wohnhaus in Haidemühl

 

Im sogenannten Haidemühlvertrag vom 30. Januar 2000 verpflichtete sich die Lausitzer Braunkohle AG gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern von Haidemühl, die Umsiedlung in einer den Bedürfnissen der betroffenen Einwohner entsprechenden Weise zu planen und durchzuführen. Inzwischen wurde "Haidemühl (neu)" als neuer Siedlungsbereich der Stadt Spremberg fertiggestellt und alle Familien sind umgesiedelt worden. 

 
Nicht alle Betroffenen haben freiwillig ihre Häuser geräumt. Doch spätestens, als der Postbote keine Briefe mehr zustellte, weil es den alten Ort Haidemühl offiziell nicht mehr gab, hat auch der Letzte das Feld geräumt. 
 
Verlassenes Wohnhaus in Haidemühl
Verlassenes Wohnhaus in Haidemühl

Vom stolzen Monopol zum Niedergang

Alten Glasfabrik von Haidemühl
Alten Glasfabrik von Haidemühl

 

1.280 Beschäftigte des Glaswerks verloren bei der Schließung des Traditionsbetriebs, der einst eine Monopolstellung bei der Herstellung von Milchflaschen innehatte, ihre Arbeit. Aufgrund dieser massiven Arbeitslosigkeit begann die Abwanderung, die in der vollkommenen Umsiedlung des Ortes gipfelte, als bekannt wurde, dass Haidemühl und auch die Reste der Glasfabrik in wenigen Jahren im Tagebau verschwinden sollen.

 

Zerstörter Schmelzofen der alten Glasfabrik von Haidemühl
Zerstörter Schmelzofen der alten Glasfabrik von Haidemühl

 

Die Glasschmelzöfen sind bereits demontiert, die Fabrikgebäude ausgeweidet und Vandalen zerstören nach und nach die leeren Produktionshallen. 

 

Fabrikhalle der alten Glasfabrik von Haidemühl
Fabrikhalle der alten Glasfabrik von Haidemühl

Wenn das Wasser geht

Reihe von Bohrlöchern, um den Grundwasserspiegel weiträumig abzusenken
Reihe von Bohrlöchern, um den Grundwasserspiegel weiträumig abzusenken

 

Damit die bis zu 120 Meter tiefen Tagebaugruben nicht voller Grundwasser laufen, müssen rund um die Lausitzer Tagebaue die Pumpen Tag und Nacht laufen. Jahr für Jahr pumpt Vattenfall für diese sogenannte "Sümpfung" im Umkreis von Welzow-Süd über 200 Milliarden Liter Grundwasser ab. Ein Absenkungstrichter hat sich rund um den Tagebau gebildet, sodass der Grundwasserspiegel weit über das Abbaugebiet hinaus abgesenkt wurde. Als Folge davon fallen ökologisch wertvolle Feuchtgebiete trocken und der Grundwasserhaushalt der gesamten Region ist auf nicht absehbare Zeit aus dem Gleichgewicht geraten und zerstört.

 

Fast 100 Liter Grundwasser werden in der Minute pro Bohrloch abgepumpt
Fast 100 Liter Grundwasser werden in der Minute pro Bohrloch abgepumpt

 

Helga Tetsch, Hobbygärtnerin und Braunkohlegegnerin der ersten Stunde, erklärt die weitreichenden Folgen der "Sümpfung", die für das ungeübte Auge auf den ersten Blick nicht ohne Weiteres erkennbar sind: "Die Zusammensetzung der Vegetation hat sich im Raum Welzow völlig verändert, weil z.B. in den immer wasserärmeren Wäldern keine feuchtigkeitsliebenden Pflanzen mehr wachsen können. In unseren Gärten laufen dagegen ständig die Rasensprenger.

 

Da ist es nur gerecht aber ein schwacher Trost, dass Vattenfall als Verursacher dieser zunehmenden Versteppung wenigstens einen Grundbetrag unserer Wasserrechnungen bezahlen muss. Aber mit diesem erhöhten Wasserverbrauch können die Landwirte und Gärtner nur die Folgen der "Sümpfung" lindern, während Vattenfall mit dem ständigen Abpumpen des Grundwassers die Ursachen noch weiter verschlimmert."

 

Helga Tetsch in ihrem Proschimer Garten
Helga Tetsch in ihrem Proschimer Garten

Tief, breit und äußerst umstritten: die neue 10-Kilometer-Dichtwand

 

Der Wasserregulierung soll künftig auch eine unterirdische Dichtwand dienen, ein weiteres Mammutbauwerk, das Vattenfall auf über 10 Kilometern Länge bauen lässt. Wie ein Duschvorhang soll diese 100 Meter tiefe, unterirdische Dichtwand das Einfließen von Wasser aus dem Sedlitzer See und weiteren Seen der Lausitzer Seenkette in den Tagebau Welzow-Süd verhindern. Doch sowohl einige namhafte Geologen als auch die Braunkohlekritiker bezweifeln, ob diese Dichtwand, die in einer vorwiegend aus Sanden bestehenden eiszeitlichen Rinne gebaut wird, tatsächlich in hundert Meter Tiefe nahtlos mit der dort vorhandenen wasserundurchlässigen Tonschicht abschließt. Das aber ist die Voraussetzung dafür, dass die Wand tatsächlich abdichtet und nicht von den Wassermassen unterspült wird. Die Wasserrückhaltefunktion dieser Dichtwand ist lebenswichtig für die Einwohner der schon erwähnten Ortschaft Lieske, die später auf einem nur noch 400 Meter breiten Landstreifen liegen wird, im Rücken der Sedlitzer See (geflutetes Tagebauloch) und auf der anderen Seite den bis zu 100 Meter tiefen Tagebau.

 

Der bauliche Aufwand ist jedenfalls enorm: Vattenfall setzt eine riesige Schlitzfräsmaschine ein, die einen hundert Meter tiefen und einen Meter breiten Schlitz in den Boden fräst. Dann wird eine Tonmischung eingespült, die auf beiden Seiten des Schlitzes eine 5 bis 8 Zentimeter dicke, wasserundurchlässige Filterkruste ausbildet, und schließlich wird in den verbleibenden Hohlraum das ausgefräste, mit Ton vermischte Erdreich eingefüllt.

 

Auf diese Weise wächst die Dichtwand pro Tag zwei bis drei Meter weiter und Vattenfall ist zuversichtlich, dieses Projekt bis zum Jahr 2022 fertigstellen zu können – rechtzeitig vor Inbetriebnahme der Erweiterung des Abbaugebietes Welzow-Süd II. 

 

Schlitzbohrmaschine für die Dichtwand
Schlitzbohrmaschine für die Dichtwand

Der blutende Bach

 

Die Deckschichten über der Kohle sind in der Lausitz reich an Eisen-Schwefel-Verbindungen, sogenannten Pyriten, die durch die Umsetzung des Erdreichs mit dem Luftsauerstoff in Kontakt kommen und zu Eisen und Schwefel zerfallen. Wenn nach dem Auskohlen des Tagebaus das Grundwasser wieder ansteigt, bilden sich braunes Eisenhydroxid (Ocker) und Sulfat, die aus den Kippen ausgewaschen werden, sich im Grundwasser verbreiten, schließlich in die umgebenden Bäche und die Flüsse gelangen und ihnen eine charakteristisch rot-braune Färbung geben. 

 

Diese sogenannten "Verockerungen" sind Spätfolgen des DDR-Bergbaus, die teilweise erst jetzt nach 50 Jahren ans Tageslicht kommen und die betroffenen Bäche und Flüsse im Biosphärenreservat Spreewald für die nächsten 100 Jahre in ein ökologisches Katastrophengebiet verwandelt haben, in dem Boden und Wasser ökologisch tot sind. 

 

Verockerung an der Einmündung des Eichower Fließes in das Greifenhainer Fließ
Verockerung an der Einmündung des Eichower Fließes in das Greifenhainer Fließ

 

In den besonders stark betroffenen Bächen hat Greenpeace teilweise Eisenkonzentrationen von bis zu 40 mg pro Liter Wasser gemessen. Das Eisen wirkt wie Gift auf das Leben in den Gewässern: Bereits 2 bis 3 mg Eisenocker pro Liter sind so toxisch, dass die Fischbrut abstirbt. 

 


Früher konnte man im Eichower Fließ noch Fische sehen, jetzt steht hier eine nur noch zehn Zentimeter tiefe, braune Brühe. Das Bachbett ist mit einer bis zu 60 Zentimeter mächtigen Schicht des Eisenschlamms bedeckt. Als direkte Folge der Verockerung verödete das Gewässer, erstickte alles Leben und verlandeten einige Bäche sogar. Aber nicht nur Kleinstlebewesen und Fische verschwinden, sondern auch seltene Tiere wie Eisvogel oder Fischotter, die von den Fischen leben, bleiben den verockerten Gewässern fern.


 

Der rot-braune Schlamm soll nun ausgebaggert werden, doch ob damit den Fischen, Eisvögeln und Fischottern sowie dem Tourismus geholfen werden kann, ist noch völlig unklar.

 

 

Die sauren Seen von Neu-Seeland

 

Schon zu DDR-Zeiten wurde in den 1970er Jahren die von Menschenhand erschaffene "Lausitzer Seenplatte", die aus ausgekohlten und gefluteten Tagebaulöchern besteht, als sozialistische Freizeitoase beworben: „Eine Landschaft nach den Wünschen der Bürger“, hieß es z.B. in einem Faltblatt über das Erholungsgebiet Senftenberger See. 

 

Inzwischen hat sogar die hier ansässige Gemeinde die menschengemachte Seenplatte in ihren Namen aufgenommen und nennt sich offiziell "Gemeinde Neu-Seeland".

 
Gesperrter gefluteter Tagebau
Gesperrter gefluteter Tagebau

 

Doch nur an einige Stellen sind Baden und Wassersport erlaubt – zu groß ist die Angst vor unkontrollierbaren Erdrutschungen im Uferbereich und vor den extrem niedrigen pH-Werten dieser versauerten Gewässer (wie sich die im Boden vorhandenen Pyrite in Sulfate und Schwefelsäure umwandeln, wurde schon vorher berichtet). 

 

Nach einer Analyse der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft von Ende 2012 hat z.B. der Partwitzer See einen extrem sauren pH-Wert von 2,81 und das Wasser des Blunoer Sees ist mit einem pH-Wert von 2,67  so aggressiv, dass sich die Metalldrähte der uferbefestigenden Steingabionen aufgelöst haben. 

 

Uferbereich des sauren Sees

 

Es heißt, dass alle gefluteten Tagebaue langfristig gesehen biologisch reifen werden und sich nach und nach immer höherwertigere Lebensformen einstellen. Aber dieser Prozess kann sehr lange dauern, wie lange, kann noch nicht genau gesagt werden. Jeder dieser künstlichen Seen hat seine eigene, besondere Prognose und es fehlt an vergleichbaren Erfahrungen – schließlich spielt der Mensch nicht jeden Tag Gott und schafft sich eine neue Seenlandschaft.

 

Der Kanal "von der Rolle" zwischen dem Großräschener und Sedlitzer See
Der Kanal "von der Rolle" zwischen dem Großräschener und Sedlitzer See

 

Ein anderer Versuch, das unterschiedlich saure Wasser der übersäuerten Seen zu vermischen, ist der Bau von Kanälen zwischen den gefluteten ehemaligen Tagebauen. Der Boden der v-förmig ausgehobenen Kanäle wird mit Rüttlern verdichtet, Kilometer lang mit Geofließ von der Rolle ausgelegt und mit Steinen ausgekleidet. Später sollen Freizeitkapitäne mit ihren Sportbooten über diese künstlichen Wasserstraßen von See zu See schippern, um in den ganzen Genuss der menschgemachten Landschaft zu kommen.

 

 

„Wer nicht kämpft, hat schon verloren“

Kirche von Atterwasch
Kirche von Atterwasch

 

Sie wurde knapp 200 Jahre vor der Entdeckung Amerikas erbaut: Im Jahr 1294 wurde die Kirche von Atterwasch das erste Mal urkundlich erwähnt. Nach dem 30-jährigen Krieg wurde das Kirchlein wieder aufgebaut und 1685 erneut geweiht, inzwischen sind sowohl die Kirche als auch das Pfarrhaus als Baudenkmäler ausgewiesen. 

 

Nun soll die Kirche entweiht und abgebaggert werden, auf den Opferaltar des neuen Braunkohletagebaus Jänschwalde-Nord gelegt werden. Wenn es gut läuft, soll höchstens die markante Kirchturmspitze gerettet werden. 

 

Auch die Brandenburgische Landeskirche ist machtlos. Sie fordert zwar den Einstieg in den Ausstieg der Kohle und ist der Klimaallianz beigetreten, doch retten kann sie die Kirche von Atterwasch nicht. 

 

 

In der Atterwascher Kirche treffe ich Monika Schulz-Höpfner, die zwei äußerst gegensätzliche Stimmen in sich vereint: Seit Jahren ist sie überzeugte und engagierte Kohlegegnerin und seit Jahren ist sie zugleich Landtagsabgeordnete der CDU, die als Partei landes- und bundesweit die Erweiterungspläne der Tagebaugebiete unterstützt. In dieser wichtigen Frage von der CDU-Parteilinie abzuweichen und eher der Grünen Partei näher zu sein – dazu gehören Mut und Kraft.

 

Vielleicht bezieht sie beides daher, dass sie selbst in Atterwasch wohnt und tagtäglich am eigenen Leib erlebt, wie das Damoklesschwert der Tagebauerweiterung an den Nerven der Atterwascher zehrt: "Die Mehrheit meiner Wähler aus den von der Tagebauerweiterung betroffenen Orten hat mir auf jeden Fall das politische Mandat gegen die Braunkohle mit auf meinen Weg gegeben. Aber z.B. in der Stadt Cottbus, wo Vattenfall Mining und die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (GBCE) zu Hause sind, ist die Stimmung in der Bevölkerung überwiegend für die Braunkohle. Die unversöhnlichen Hauptargumente sind auf der einen Seite der Erhalt der Heimat und der Dorfgemeinschaften, auf der anderen Seite die Sicherung der 3.834 direkten Braunkohle-Arbeitsplätze – laut unserem Statistischen Landesamt. Doch die könnten meiner Meinung nach bei einem langsamen, kontrollierten Ausstieg aus der Braunkohle sozialverträglich abgebaut werden, indem für verrentete Mitarbeiter keine Nachfolger mehr eingestellt werden. Für mich ist jedenfalls klar, dass die Wirtschaft manchmal hinter wichtigeren und kostbareren Interessen der Menschen zurückstehen muss."

 

 

Der Filmautor und Dramaturg Christian Huschka von der Atterwascher Bürgerinitiative pflicht ihr bei: "Wo heute noch Atterwasch steht, wird vielleicht schon bald ein tiefes Loch klaffen. Es ist ein ungutes und zugleich unheimliches Gefühl, dass ein Dorf und seine Kirche für immer und für alle Zeiten ausgelöscht werden. Wäre dieser Ort durch einen Krieg oder eine Naturkatastrophe zerstört worden, könnte man ihn wieder aufbauen. Aber der Abriss und die anschließende Abtragung des Bodens bedeuten die totale und spurlose Vernichtung – vollständiger kann ein Ort nicht aus der Weltgeschichte getilgt werden.

 

Wie sehr die betroffenen Menschen von diesem möglichen Wegmüssen als Lebenserfahrung belastet sind, das erfährt unser Pfarrer jedes Mal, wenn er als Braunkohle-Pfarrer mit den Betroffenen spricht. Denn teilweise sind ganze Dörfer gespalten: Einige wollen ihr Haus verkaufen, weggehen und irgendwo anders neu anfangen, andere hängen an ihrer Heimat, an ihren Kindheitserinnerungen, an ihrem Elternhaus. Quasi als Nebenprodukt hat sich eine verstärkte Rückbesinnung auf den Wert der Heimat und auf die Bemühungen der Kirche, die Schöpfung zu bewahren, gebildet. Und das freut mich."

 

Altar der Kirche von Atterwasch
Altar der Kirche von Atterwasch

 

In der Lausitz hat sich neben vielen anderen Initiativen auch das Bündnis „Heimat und Zukunft in Brandenburg“ gebildet, eine Vernetzung von unterschiedlichsten Initiativen zum Schutz der Umwelt und der ländlichen Lebensart. Erneuert wird dieses Bündnis jedes Jahr im Herbst auf dem Dorffest von Atterwasch und bei dem Sternmarsch der drei Dörfer Kerkwitz, Grabko und Atterwasch am ersten Sonntag im Januar. Neben aller Diskussion und politischer Debatte bleiben die demonstrierenden Menschen auf der Straße ein unverzichtbarer Bestandteil des ungebrochenen Widerstands gegen die Kohle. 

 

 

Der Opa ohne Lobby

 

Momentan läuft das Planverfahren für den neuen Tagebau Welzow-Süd II, für dessen Braunkohlebagger weitere 1.900 Hektar geopfert und mehr als 800 Menschen vertrieben werden sollen.

 

Nachdem der erste Entwurf des Plans 2011 wegen heftiger Proteste und gravierender Planungsmängel überarbeitet werden musste, finden momentan die Anhörungen der eingereichten Bürgereinwände statt. Ein nervenaufreibendes und zeitraubendes Verfahren, das noch in letzter Minute verhindern soll, dass u.a. der Ort Proschim vollständig zerstört wird. 



Zum einen sind es Umwelt- und Klimaschutzgründe sowie die inzwischen fehlende energiepolitische Notwendigkeit der Tagebau-Erweiterung, die sich in den Argumenten der Kohlegegner wiederfinden. Um den neuen Tagebau aufzuschließen, müssten in Proschim z.B. im Betrieb befindliche Ökostromanlagen (ein Biogaskraftwerk und großflächige Solaranlagen) abgerissen werden, die schon heute pro Jahr 5.000 Menschen mit regenerativem  Strom versorgen – der als "Brückentechnologie" ausgewiesene schmutzige Kohlestrom würde also den bereits fließenden sauberen Ökostrom ersetzen. 

 

Das andere Hauptargument gegen den neuen Tagebau ist die Sorge um den unbezahlbaren Verlust der Heimat. Und von dieser Sorge erzählt die pfiffige Anti-Braunkohle-Kampagne "Opa ohne Lobby"

 

Johannes Kapelle an der Proschimer Orgel
Johannes Kapelle an der Proschimer Orgel

 

Kernstück der Kampagne ist ein kurzes Video vom „Opa ohne Lobby“ und darin wird eine wahre Begebenheit gezeigt: das Leben von Johannes Kapelle aus Proschim.

 

Im Gespräch am Originalschauplatz des Videos, an der Orgel der Proschimer Kirche, erzählt der 77-jährige Johannes Kapelle: "Der Film "Opa ohne Lobby" zeigt meine eigene Geschichte, als einzelner Bürger aus Proschim einer mächtigen Braunkohlelobby gegenüberzustehen, die mein Leben, meine Lebensgeschichte und meine Heimat bedroht. Ich habe drei Kinder und fünf Enkel, für die ich unseren Hof erhalten und unsere Familiengeschichte bewahren möchte. Doch stattdessen soll ich von meinem eigenen Grund und Boden vertrieben und enteignet werden, und dabei Heimat, Haus und Hof verlieren. Und das alles nur für die Braunkohle, die ein ostdeutsches Bundesland an einen schwedischen Staatskonzern mehr oder weniger verschenken will, damit der Konzern damit Milliardengewinne erzielt und in Deutschland nur verwüstete Landschaften hinterlässt. Nein, das ist eine unfassbare Tragödie, die an die rechtlosen, dunklen Zeiten der DDR erinnert. Aber diese Tragödie ist aktuell und spielt in diesem Moment."

 

Schluss-Szene aus dem Film "Opa ohne Lobby"
Schluss-Szene aus dem Film "Opa ohne Lobby"

 

Wie sieht die Situation zum Jahresbeginn 2014 aus? Und was sind die nächsten Schritte?

 

Über 120.000 Menschen sprachen sich bisher in Unterschriftslisten gegen den von Vattenfall geplanten Braunkohlentagebau Welzow-Süd II aus, eine gewichtige Zahl von Anwohnern lehnt die drohenden Umsiedlungen ab, da sie grundsätzlich nicht sozialverträglich sind, und momentan läuft das Planfeststellungsverfahren für Welzow II. 

 
Wichtig für die Entscheidung könnte eine juristische Grundsatzentscheidung sein, die in diesen Tagen für Aufsehen sorgte. Im Rheinischen Braunkohlerevier hatte ein Betroffener bis vor das höchste deutsche Gericht geklagt, dass die Enteignung seines Grundstücks für einen Kohletagebau nicht den rechtstaatlichen Prinzipien entspricht. Doch das Bundesverfassungsgericht entschied, dass der Gemeinwohlbelang der Energieversorgung schwerer wiegt als das Recht auf Heimat und die freie Ortswahl ihre Grenzen an einer Bodennutzung findet, die dem Gemeinwohl diene (Az. 1 BvR 3139/08 und 1 BvR 3386/08).
 
Doch gibt dieses Gericht den Lausitzer Kohlegegnern auch Hoffnung und bessere Chancen, sich gegen die drohenden Enteignungen zu wehren. Denn ab sofort dürfen betroffene Bürger bereits während des Zulassungsverfahrens gegen eine drohende Enteignung klagen. Was eher verfahrenstechnisch klingt, ist ein gewaltiger Unterschied zum bisherigen Vorgehen: Bislang konnten Grundeigentümer nämlich erst nach Erteilung der Abbaugenehmigung Klage einreichen. Dann hatten die meisten Bewohner bedrohter Ortschaften aber bereits aufgegeben. Entsprechend gering ist bislang die Zahl der Klagen. Nachdem der Widerstand in der Lausitz zunehmend stärker geworden ist, ist jetzt mit einer Vielzahl von Klagen gegen die drohenden Enteignungen zu rechnen.
 
Doch was ist überhaupt die von den Kohlegegnern bevorzugte Alternative zur "Brückentechnologie Braunkohle"?
 
Der Plan klingt realistisch und plausibel: Neben dem Ausbau der Wind-, Solar- und Biogas-Energie – das Dorf Proschim hat beeindruckend gezeigt, wie so etwas erfolgreich realisiert werden kann – befürworten die Heimat- und Umweltschützer, dass Vattenfall die bereits bestehenden Tagebaue noch auskohlen, währenddessen das Kohlegeschäft allmählich herunter fahren und die Zahl der Arbeitskräfte sozialverträglich zurückfahren soll. Außerdem sollen die ältesten Kohlekraftwerke wie die 500-Megawatt-DDR-Kraftwerke von Jänschwalde und Boxberg zuerst vom Netz genommen werden und das modernere und umweltverträglichere Kraftwerk Schwarze Pumpe mit seinem höheren Wirkungsgrad als letztes abgeschaltet werden. 
 
Eine interessante Information bringt zusätzliche Dynamik in diese Forderungen: Es gibt Anzeichen dafür, dass der schwedische Staatskonzern Vattenfall sich aus dem schmutzigen und imageschädigenden Kohlegeschäft in Deutschland zurückziehen könnte. Doch ob durch diese weitere Variable in der Rechnung die Chancen auf einen zügigen Ausstieg aus der Braunkohle wirklich steigen werden, steht noch in den Sternen – soweit sie denn nachts durch die Wasserdampfschwaden der Kühltürme zu sehen sind. 
 

 

Nachsatz: Um bei meinen Recherchen über die gesamte Bandbreite an Informationen pro und contra Braunkohle zu verfügen, habe ich Vattenfall mehrfach um ein Gespräch gebeten. Trotz rechtzeitiger Anfrage an die zuständige Stelle für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und trotz Vorab-Übersendung meines Fragenkatalogs war Vattenfall Mining Europe jedoch nicht an einem Gespräch und der Möglichkeit interessiert, mir den Standpunkt des Unternehmens und die Bemühungen zu erläutern, die Braunkohle so umweltverträgtlich wie möglich abzubauen und zu verstromen. 

 

 

Weiterführende Links zum Thema "Braunkohle in der Lausitz"


Multimedia-Überblick zur Braunkohle von Greenpeace 


Opa ohne Lobby



Bündnis „Heimat und Zukunft in Brandenburg" 


Liste von Dörfern, die dem Tagbau weichen mussten 


Das Dorf Proschim 

"Bagger fressen Erde auf - Proschim streut Sand ins Getriebe"

Das Städtchen Welzow am Rande des Tagebaus. 


Fotosammlung vom Tagebau Welzow-Süd


Versauerte Seen in der Lausitz


Widerstand gegen den Braunkohlentagebau




Vattenfall Europe Mining AG